Jugend und Parlament - Ein Erfahrungsbericht

Borna, den 25.06.2010
JUGEND UND PARLAMENT 2010
     EIN REISEBERICHT
von Ferdinand Müller

 

Am Anfang sah ich nur ein paar Zettelchen vor mir auf dem Tisch liegen: 

         "Ferdinand! Habe 1 Platz gesichert! Fährst du hin?" stand daneben gekritzelt .   Die Zettel gehörten zum Anmeldungsformular von "Jugend und Parlament", dem größten politischen Planspiel, das Jahr für Jahr  vom Besuchsdienst des Deutschen Bundestages durchgeführt wird. 300 Jugendliche spielen dort Jahr für Jahr für 4 Tage Bundestag, werden in fiktive (aber doch der Realität nachempfundenen) Fraktionen eingeteilt und müssen über Gesetze entscheiden. Eingeladen dazu hat mich ein "echter" Abgeordneter, nämlich Dr.Axel Troost (Die Linke).  Für mich als Jugendparlamentarier und begeisterter Rollenspieler war sofort klar: Ich bin dabei! 

Natürlich mussten wie immer etliche formelle Fragen im Vorraum geklärt werden: 

Brauchen sie ein Veranstaltungsticket ? Ja. Brauchen sie eine Schlafmöglichkeit? Ja. Brauchen sie Verpflegung ? Ja. Wie lautet ihr Spielname? Ja..… eh was?

Genau das dachte ich mir zumindest als ich das erste Mal davon hörte: Bei JuP schlüpft man nämlich in eine fremde Rolle rein, man muss sich also von der eigenen politischen Identität und Meinung verabschieden, und kriegt ein Spielprofil  zugeteilt, mit eigener Biographie, Vorlieben und Meinungsbild. Dazu gehört auch ein neuer Name. Also war ich für 4 Tage Oskar Saalfeldt. Yeah! 

 

Also fuhr ich am 05.06 los Richtung Berlin, Bundestag, voller Erwartungen über 4 Tage Politik spielen.

Der erste Treffpunkt am Samstag war das "Paul-Löbe-Haus", den zum Komplex des Bundestages gehört nicht nur der Reichstag, sondern auch noch 2 weitere Häuser. 

Im Reichstag direkt gibt's den Plenarsaal wo die großen Bundestagsdebatten stattfinden. In den oberen Etagen befinden sich die Fraktionsräume der großen Parteien, mit den entsprechenden Pressesälen.

Dies sind meistens die einzigen Teile des Komplexes die im Fernsehen zu sehen sind. 

Im oben genannten Paul-Löbe-Haus befinden sich die Ausschusssäale. Dort werden die ganzen Gesetze und Anträge fraktionsübergreifend von den verschiedenen Ausschüssen diskutiert, also die eigentliche Arbeit des Bundestages als gesetzgebende Institution. 

Dann gibt es noch das Jakob-Kaiser-Haus, welches ebenfalls ein riesiges Gebäude ist, mit mehr als 1000 Büros für die verschiedenen Abgeordneten und ihre Mitarbeiterstäbe. 

 

 

Ich traf also dort gegen 16.00 Uhr ein, um mein Rollenprofil entgegen zu nehmen.

Oskar Saalfeldt ist 53 Jahre, verheiratet , hat 3 Kinder, Verwaltungsfachangestellter im Wahlkreis 155 Frankfurt am Main. 

Mein jüngstes Kind ist leider schon in jungen Jahren in die Drogenszene hineingerutscht, und deswegen habe ich den Verein "Frankfurter Eltern gegen Drogen" e.v. gegründet, um dem entgegenzuwirken.

Aber meine Aktionen haben nichts bewirkt, denn die  Stadtverwaltung meinte, dass es in "Frankfurt kein Drogenproblem gäbe". Deswegen bin ich in die CVP (christliche Volkspartei) eingetreten, und kam über mein Engagement und meine Bekanntheit im Frankfurter Raum in den Bundestag...

 

Da die CVP die größte Fraktionen bei Jugend und Parlament stellte (120 Teilnehmer), wurden wir nochmals in 4 Landesgruppen unterteilt. 

Ich gehörte zur Landesgruppe Mitte. Nach der Bekanntgabe der Rollenprofile besichtigten wir noch die unterschiedlichen Saale und Räume des Reichstags.

Danach folgte ein lustiges Kennenlernen in der Landesgruppe.

Es gab viele Jugendliche, die sich schon in diversen Parteiorganisationen befanden, andere waren Schülerräte, oder Leute die einfach durch Zufall und durch persönliche Kontakte bei Jugend und Parlament gelandet waren. 

Also eine bunte Mischung an Leuten, die jetzt alle ihre persönlichen Meinungen aufzugeben hatten, um ihr Rollenprofil anzunehmen. 

Der Rest des Tages  bestand aus Abendessen in der Kantine des Bundestages (Lecker!) und im Einkehren im Hostel in Friedrichshain.

 

Ab Sonntag ging es dann richtig los mit dem Planspiel:

halb 7 aufstehen, kurz frühstücken und frischmachen, und dann los mit der S-Bahn in Richtung Reichstag.

Um 9 war schon der Treff dort immer angesetzt, aber die zahlreichen Sicherheitskontrollen dort erschwerten die Termineinhaltung zusätzlich (obwohl wir extra Zugangsberechtigungen hatten!). 

Also zuerst nochmals Landesgruppensitzung. Wir schlugen eine Kandidatin für den Fraktionsvorsitz vor, und ebenfalls unseren Schriftführer, der die Sitzung der Fraktion mit leiten würde. 

In der Fraktionssitzung dann direkt kam es nochmals zu einer Podiumsdiskussion der 4 Landesgruppenvorsitzenden, wer den nun die Fraktion zu leiten hatte. 

Dies stellte sich ein wenig schwieriger heraus, da nun 80 Leute mehr (oder 3 Landesgruppen) ihre Interessen berücksichtigt sehen wollten. 

Dabei war es immer wieder lustig anzusehen, wie manche Leute schon ihr Rollenprofil verinnerlicht hatten: Ein 17-Jähriger Bengel zum Beispiel, der sich vorstellte mit: Guten Tag, ich bin 73 Jahre alt, bin geboren im Sudetenland. und stehe hier für den Vertriebenenbund….

Da die Landesgruppe Mitte ( zu der ich ja gehörte) die größte Landesgruppe darstellte, dachten wir eigentlich das sich locker unsere Kandidatin durchsetzte.

Aber da diese grade in der Diskussion nicht glänzte, zerfiel auch die Wahleinheit unserer Landesgruppe, und die Entscheidung fiel für den Vorsitzenden der Landesgruppe Bayern: ein rechtskonservativer Abgeordneter namens Gerd Nehr (bitte nicht falsch aussprechen!)

So weit, so gut: Die CVP hatte ein Gesicht (mit dem sie leben musste), doch die Fraktion konnte die 4 Tage damit keine Geschlossenheit nach aussen repräsentieren… Schon am nächsten Tag erschien von der Planspiel-Internen Presse ein Leitartikel zum Thema: "Ist die CVP gespalten? Gerd Nehr unerwünscht?!". 

Einige Menschen aus unserer Fraktion hatten wohl etwas von der eigentlich geheimen Fraktionssitzung nach aussen getragen… oder die Presse hat sich heimlich in die Sitzung hineingeschmuggelt. 

 

Nach der Wahl wurden die Arbeitskreise der Fraktion gegründet. Denn es ging bei Jugend und Parlament konkret um 4 Gesetze, die das Planspiel zu behandeln hatte:

1. Antrag zur Vollendung der Deutschen Einheit

2. Gesetz zur Einführung von Elementen direkter Demokratie

3. Gesetz zum Verbot des Alkoholverkaufs an Jugendliche 

und 4. Antrag auf die langfristige Stabilisierung des Rentensystems.

 

Natürlich wurden die ganzen Gesetze nicht von jedem behandelt, sondern wie in der realen Politik wurden Ausschüsse gebildet, in der man sich, je nach den Kompetenzen der eigenen Rolle eintragen sollte.

Als Verwaltungsfachangestellter sah ich natürlich mein Spezialgebiet in dem Ausschuss für die "Angelegenheiten der öffentlichen Verwaltung", der sich im gröberen mit dem Antrag zur Vollendung der Deutschen Einheit beschäftigte, und im genaueren mit der immer noch unterschiedlichen Bezahlung von Bundesbeamten in Ost- und West.

Im Arbeitskreis kriegten wir zuerst ein dickes Heft in die Hand gedrückt, mit zahlreichen Studien, Statistiken und Diagramm zu dem Thema. 

Ein "normaler" Mensch würde natürlich sagen: wir sind ein Land, und die Beamten kriegen auf der einen Seite mehr, und auf der anderen Seite des Landes weniger Geld? Gehört abgeschafft!

Doch die Wahrheit ist natürlich viel komplexer:

Kann sich die Bundesregierung das leisten, wie hoch sind die Lebenshaltungskosten in den beiden Landeshälften, wie sieht es aus mit den Gehältern der Landesbeamten, wie verhält sich der Solidarpakt II zu der ganzen Geschichte….

 

Ihr seht, Politk ist wahnsinnig schwer und man muss wirklich alle Aspekte der Gesellschaft betrachten, wenn man an ihr was verändern möchte.

Entsprechend unserer konservativen Ausrichtung einigten wir uns im Arbeitskreis auf eine schrittweise Erhöhung der Gehälter, parallel zum Auslaufen des Ost-West-Finanzausgleichs, dem sogenannten Solidarpakt. Mit unserem Koalitionspartner, der LPD (Liberale-Partei Deutschlands) gab es zu diesem Punkt auch keine Differenzen, so das wir damit zurück in die Fraktionssitzung gehen konnten, um unsere Ausarbeitungen der restlichen Fraktion vorzustellen.

 

Am Montag ging es dann zum ersten Mal in den Plenarsaal. 

Die Sitzungen hier wurden immer von der Frau Hasselfeldt eröffnet, die Vizepräsidentin und Vorsitzendes des Ältestenrates des Bundestages ist, der das Planspiel "Jugend und Parlament", Jahr für Jahr wieder beschließt. 

Zunächst wurde ganz förmlich die Bearbeitung der 4 Gesetze beschlossen.

Danach sollte es zum erstmal in die Ausschüsse gehen.

 

Wie ich am Anfang schonmal erwähnte, sitzen in den Ausschüssen Vertreter aller Fraktionen im Bundestag, die natürlich auch alle die Gesetze gemäß ihren Vorstellungen bearbeitet haben.

Ergo, es sollte richtig zur Sache gehen. 

 

Was nun folgte, ist das Einmaleins der deutschen Politik: hartes Verhandeln um einzelne Punkte, ja sogar Nebensätze in den Anträgen die es anders zu Formulieren gilt, währenddessen immer Absprache mit dem Koalitionspartner.

Ein hin und her zwischen Nachgeben und eiserner Standhaftigkeit, bemüht den eigenen Entwurf des Gesetzes nicht zur sehr zu verändern und der Opposition nicht zuviel Spielraum zu lassen.

Natürlich gab es manche in unserer Fraktion die meinten, das wir als Regierungskoalition sowieso die Mehrheit hinter uns wissen und deswegen nicht auf die anderen Parteien zu hören bräuchten. Doch ich fand bei einem so heiklen Thema, der Vollendung der deutschen Einheit (ihr erinnert euch- die Angleichung der Beamtengehälter in Ost-und Westdeutschland) bräuchte der Bundestag einen Konsens aus allen gewählten Volksvertretern, damit ein Zeichen gesetzt wird für ein wahrhaft geeintes Deutschland. 

Und siehe da- am Ende gelang wirklich ein Kompromiss, der die Vertreter der 4 großen Parteien zufriedenstellte.

 

Am Ende der Sitzung gab es eine kurze Auszeit für Jugend und Parlament- ich durfte nämlich meinen einladenden Abgeordneten, Dr. Troost,  in seinem Büro im Jakob-Kaiser-Haus besuchen. 

Meine einzige Info war - Raum 848. 848??? Okay...

Nach einem längeren studieren der Karte und Ziellosen Umherirren im Haus stand ich nach circa einer halben Stunde Laufweg vor seiner Tür. Was für Dimensionen !

 

Nun durfte ich selber mal in das Leben eines richtigen Abgeordneten schnuppern. 

Zuerst wurde ich von einem seiner Mitarbeiter kurz eingeführt, was den der Dr. Troost alles so zu machen hatte. Und ich staunte nicht schlecht: Zum einen die Arbeit in Berlin, in den Ausschüssen. Als Experte ist er Finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion, hat also die entsprechenden Entwürfe mitzugestalten. Deswegen muss er auch im gesamten Bundesgebiet umherreisen, um sich für seine Projekte mit den anderen in der Partei abzusprechen. Wenn Sitzungswochen in Berlin sind, ist er quasi 24 Stunden unterwegs. "Nebenbei" hat er noch die Arbeit in seinem Wahlkreis, hat mehrere Büros im Landkreis Leipzig und Nordsachsen, und muss immer präsent sein als Politiker, sollte also auch beim Feuerwehrfest von Thümlingswitz die Laudatio halten und gleichzeitig bei der Podiumsdiskussion über die Krise in Pummelhausen ein Wörtchen mitzureden haben. 

Immer auf Achse, immer auf Tour- das ist der heutige Alltag von Politikern. 

Deswegen braucht er auch ein großes Team- alleine in seinem Büro in Berlin hat er 4 Mitarbeiter. 

Zum Abschied schenkte er mir noch ein Buch seines Arbeitskreises über Wirtschaftspolitik (also für mich sehr interessant:) )und lud mich zu seiner (echten) Fraktionssitzung am Dienstag ein. Yeah!

 

Nun musste wieder zurück ins Planspiel.

Der Rest des Abends bestand aus der Fraktionssitzung, in der wir nun über die nochmals veränderten Gesetzesentwürfe abstimmten, und die Sprecher für den Plenarsaal festlegten, die unsere Anträge dort vor allen Fraktionen verteidigen sollten. 

 

Dienstag, der letzte Tag des Planspiels.

Der Höhepunkt von Jugend und Parlament stand vor der Tür- die Sitzung im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. 

Mit dabei waren die originalen Bundestagspräsidenten- und Vizepräsidenten die auch die richtigen Sitzungen mit begleiten - Also Prof. Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU) , Wolfgang Thierse (SPD),  Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU), Dr. Hermann Otto Solms (FDP), Petra Pau (Die Linke) und Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen). 

Nun begannen die Lesungen der 4 Gesetze. Jeweils ein Vertreter der Regierungskoalition und der Opposition wechselte sich mit den Redebeiträgen, also den Stellungnahmen zu den Anträgen, ab. Natürlich machten wir (oder jeweils die Opposition) ordentlich Stimmung, wenn es zu uns unbeliebten Aussagen kam. Da fielen schnell schonmal Aussagen wie: "Arbeitsscheues Pack!", "Lesen will geübt sein!" "Schwachsinn!!!". 

Also genau wie im echten Bundestag :)

Das ganze ist übrigens im Internet "nachzusehen", aufgenommen durch das Bundestagsfernsehen, unter 

http://webtv.bundestag.de

--> Ereignisse und Veranstaltungen im Deutschen Bundestag

--> Jugend und Parlament 2010

 

Die Abstimmungen über die Gesetze setzten dann den Schlusspunkt für das Planspiel, und wir wurden wieder als Abgeordnete entlassen.

Als letzter Termin an dem Tag stand dann noch eine Podiumsdiskussion an, über das Leben und Wirken als Politiker, diesmal mit den echten Fraktionsvorsitzenden der 5 Parteien: Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), Frank-Walter Steinmeier (SPD), Gregor Gysi (DIE LINKE), Birgit Homburger (FDP) und Michael Kretschmer (CDU).

 

Insgesamt fand ich Jugend und Parlament sehr gelungen. 

Alleine die Originalschauplätze (und die Orginal-Leute) zu sehen, aber auch noch dort Politik zu machen war echt cool. 

Danke an die Leute die mir das möglich gemacht haben, und an den Besucherdienst des Deutschen Bundestages für dieses unvergleichliche Erlebnis!

 

Bild zur Meldung: Jugend und Parlament - Ein Erfahrungsbericht